In Tunsel bewirtschaftet eine Gruppe Öko-Landwirte zehn Hektar Ackerfläche. Es geht ihnen um Selbstversorgung – aber auch darum, Spaß an nachhaltiger Agrarwirtschaft zu haben. Derzeit nehmen sie neue Mitglieder auf.
Luciano Ibarra und Wolf Bergmann sortieren das bunte Gemüse. Grüne Zucchini mit gelben Blüten, Rote Beete mit grünen Blättern, Fenchel, Petersilie. Mehr als siebzig Sorten Gemüse baut die Kooperative an. Mittwochs und donnerstags wird geerntet, ein Fahrer bringt das Gemüse mit dem Bus zum Umschlagsplatz nach Freiburg in die Wiesentalstraße. Von dort liefern Fahrradkuriere es zu den 18 Verteilerstationen im Stadtgebiet. Dort hängen Listen, die informieren, wie viel Kilo oder Gramm einer Sorte jedem Mitglied zusteht. Auch Tauschkisten gibt es dort. Wer zum Beispiel weniger Mangold möchte als vorgesehen, kann ihn in eine Tauschkiste legen und mit etwas Glück findet er dort Gemüse, das ihm mehr zusagt. Was sich nach flexibler Planwirtschaft anhört, nennt sich Solidarische Landwirtschaft (Solawi).
"Die Solawi ist ein solidarisches Verhältnis zwischen dem Verein Gartencoop Freiburg und dem landwirtschaftlichen Betrieb Grünzeug GmbH", erklärt Ibarra. Im landwirtschaftlichen Betrieb sind sieben Gärtner und zwei Supporter angestellt. Der Verein hat 260 Mitglieder, die meisten kommen aus Freiburg, einige aus Tunsel und Bad Krozingen. "Wir sind ein Kollektivbetrieb", sagt Lukas Friedrich. Der 34-jährige gebürtige Dortmunder, der in Freiburg wohnt, hat die Kooperative vor neun Jahren mitgegründet. "Die Produktionsmittel sind in kollektivem Eigentum. Wir teilen die Arbeit, die Verantwortung und die Erzeugnisse."
Betrieb und Verein sind eng verwoben. Die Vereinsmitglieder nehmen dem Betrieb die Produkte ab, zahlen aber keinen bestimmten Preis dafür. "Wir möchten Nahrungsmittel nicht wie Waren behandeln", sagt Friedrich. Vielmehr honorieren die Mitglieder die landwirtschaftliche Arbeit an sich. "Jedes Mitglied zahlt einen frei gewählten Beitrag, der liegt in etwa zwischen 400 und 2500 Euro im Jahr", so Friedrich. Der gesamte Ertrag wird unter allen Mitgliedern gleichmäßig aufgeteilt, unabhängig davon, wie viel der einzelne gezahlt hat. Das funktioniert? "Das funktioniert. Sogar sehr gut", sagt Annick Simons, die wie Friedrich ausgebildete Gemüsegärtnerin ist und vor einem Jahr zum Betrieb gestoßen ist.
Durch die Mitgliedsbeiträge verfügt der Betrieb über ein Jahresbudget von 300 000 Euro. Damit kann er fest planen, die Pacht für den Hof zahlen, Geräte anschaffen und die Löhne der neun Angestellten zahlen. Über deren Höhe entscheiden die Mitglieder. Doch sie sollen sich auch auf dem Hof einbringen. An fünf Tagen im Jahr. Auch hier gilt: Jeder nach seinen Möglichkeiten. Wer will, kann mehr helfen. "Die meisten tun das auch", sagt Simons.
Simons und Friedrich ist es wichtig, dass es im Betrieb zwar flache Hierarchien gibt, aber klare Strukturen. "Im Prinzip sind wir egalitär, aber es gibt unterschiedliche Wissensstände und Erfahrungswerte zum Thema Pflanzenanbau", so Friedrich. Und die 38-jährige Simons sagt: "Wir unterrichten die Vereinsmitglieder, die auf dem Acker helfen, arbeiten sie ein, bilden sie fort." Doch manche Tätigkeiten wie das technisch aufwendige Säen oder die Betätigung schwerer Maschinen obliegt den sieben Leuten des Anbauteams. "Die Unfallgefahr wäre sonst zu hoch", sagt Friedrich, der stolz darauf ist, dass es in den neun Jahren seit Bestehen des Hofs noch keinen Arbeitsunfall gegeben habe.
Während die einen beim Ernten helfen, kümmern sich andere um die Verteilung oder kochen für alle. So wie Martina Strub. Sie schneidet in der Küche Mangold und Fenchel in ein Zentimeter große Stücke. Ihre Freundin Ursula Mazouz schichtet Rote Beete und Kartoffelscheiben für ein Gratin übereinander. "Wir müssen gucken, was es gibt, und daraus zaubern wir dann ein Menü", sagt sie. Seit sechs Jahren ist Mazouz Mitglied im Verein. Bis vor anderthalb Jahren habe sie auf dem Acker mitgeholfen, doch mit dem Alter wurde ihr das zu anstrengend. Jetzt kommt sie zweimal im Monat vorbei, um zu kochen. Heute für etwa 20 Personen.
Die Gärtner und Vereinsmitglieder eint ihre kritische Haltung gegenüber der globalen Lebensmittelindustrie. Sie wollen den Mechanismen der Marktwirtschaft etwas entgegensetzen.
"Wir möchten unabhängig von der globalen Ernährungsproduktion sein, weil wir die herrschenden Produktionsverhältnisse für schwachsinnig halten", sagt Friedrich. Und Simons ergänzt: "Wir sind gegen eine strikte Trennung von Produzenten und Konsumenten. Unsere Idee ist es, eine ganzjährige Selbstversorgung sicherzustellen." Laut Studien der Vereinten Nationen könnten mit dem, was in einem Jahr auf den Feldern des Planeten wächst, mehr als zehn Milliarden Menschen ernährt werden. Es leben aber nur etwa sieben Milliarden Menschen auf der Erde, von denen eine Milliarde an Unterernährung leidet. Während jedes Jahr zwischen 1,3 und zwei Milliarden Tonnen Lebensmittel im Mülleimer landen, verhungern täglich Menschen.
Die Gründe sind vielfältig. Einer ist, dass unter kapitalistischen Bedingungen die Produktion von Nahrung dem Diktat der Gewinnmaximierung folgt und nicht einer bedarfsgerechten Bedürfnisbefriedigung. Die Lebensmittelproduktion wirke in viele Bereiche hinein, sagt Friedrich. Es geht um soziale Ausgrenzung, aber auch um den Klimawandel. "Es ist absolut notwendig, dass ein Umdenken in der weltweiten Nahrungsmittelproduktion einsetzt." In der Solawi sieht er ein geeignetes Modell. Deutschlandweit gibt es ein Solawi-Netzwerk mit 120 Regio-Gruppen und Arbeitsgemeinschaften. Bis vor sieben Jahren habe es nur 15 Solawi-Projekte gegeben, so Friedrich, obwohl die ersten sich schon in den 70ern gegründet hätten. "Doch jetzt boomt die Solawi."
Als die Gartencoop im Jahr 2009 entstand, hatte sie 170 Mitglieder. Vielfalt lautet seither das Motto. Ein Wort, das man immer wieder aus Friedrichs Mund hört. "Wir sind auch ein menschliches Experiment", sagt er. Es sei nicht leicht, sich mit so vielen unterschiedlichen Leuten zu koordinieren. Nicht nur im Verein, auch auf den Feldern herrscht Vielfalt. "Wir sind hier umgeben von Monokulturen. Die werfen kurzfristig mehr Ertrag ab", erklärt Friedrich, langfristig seien sie aber weniger nachhaltig. "Wir verwenden ausschließlich samenfeste Gemüsesorten, betreiben eine kleinteilige Landwirtschaft mit bis zu zwölfjähriger Fruchtfolge." Die gleiche Gemüsesorte wird nur alle zwölf Jahre auf derselben Fläche kultiviert, dadurch bleibt der Boden fruchtbarer. Derzeit wachsen auf fünf Hektar Gemüse und auf anderthalb Hektar Getreide. Auf der restlichen Fläche weiden kleine Dexter-Rinder. Der Kooperative dienen sie weder zur Milchgewinnung noch zur Fleischproduktion. "Wir haben es auf ihre Scheiße abgesehen", sagt Friedrich und lacht. Der Kuhdung sei besser und natürlicher als jeder Mineraldünger.
Für den Hof samt Scheune, Lagerraum, Unterdach und zehn Hektar Anbaufläche zahlen sie 4000 Euro Pacht im Jahr. "Ein Schnäppchen, wenn man das mit den Grundstückspreisen hier in der Gegend vergleicht", sagt Simons. Die Suche nach geeignetem Grund und Boden hat fast zwei Jahre gedauert. Mit den Bauern in der direkten Umgebung hätten sie ein gutes Verhältnis, sagt Friedrich. "Wir kooperieren mit denen, leihen uns auch manchmal Geräte." Bisweilen kriegen die Öko-Gärtner auch Kirschen geschenkt. Zum Beispiel von Reinhard Edel, der sich als Tunsler Bauer in Rente vorstellt. "Alle Bio", sagt Edel, der weiß, dass er mit konventionell erzeugten Kirschen hier keinen überzeugen könnte. Anfangs seien sie bei ihren Nachbarn auf Skepsis gestoßen, erzählt Friedrich. "Viele haben gedacht, wir sind durchgeknallte Hippies." Doch die Skepsis wich der Neugierde. Und mittlerweile habe sich herumgesprochen, "dass wir hier professionelle Landwirtschaft betreiben", so Friedrich.