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Statement der Gartencoop Freiburg zur Auszeichnung mit dem Klimaschutzpreis

Die solidarische Landwirtschaft, Gartencoop Freiburg wurde mit dem Klimaschutzpreis 2020 der Stadt Freiburg ausgezeichnet (1. Preis). Wir möchten uns ganz herzlich bei der Jury und dem Umweltschutzamt für diese Auszeichnung und das damit verbundene Preisgeld bedanken.

Seit genau zehn Jahren setzen wir ein erfolgreiches Modell solidarischer Landwirtschaft um. Rund 300 Mitglieder (ca. 750 Menschen aus Freiburg und Umgebung) teilen sich die Verantwortung für einen landwirtschaftlichen Betrieb in Tunsel / Bad Krozingen. Sie tragen gemeinsam die Kosten und Risiken der Landwirtschaft, und sind in Produktion, Verteilung, Logistik sowie Selbstverwaltung auf vielen Ebenen involviert. Die gesamte Ernte – ob gut oder schlecht – wird auf alle Mitglieder verteilt. Ein konsequenter ökologischer Anbau, Saisonalität, 100% samenfeste Sorten, kurze Wege, solidarische Ökonomie, kollektives Eigentum, Bildung sowie gemeinsames Anpacken in der Landwirtschaft und der Logistik sind nur einige der vielen Merkmale unseres Projekts.

Die Anerkennung unseres Engagements über viele Jahre für eine klimagerechte Welt freut uns sehr.

Gleichzeitig möchten wir die Gelegenheit nutzen, um auf die Dringlichkeit der globalen Klimakrise hinzuweisen und zu betonen, dass die Maßnahmen unserer Gesellschaft, ihrer Institutionen und auch der „Green City“ Freiburg bei weitem nicht im Verhältnis zur Größe des Problems stehen. Ein tiefgreifender, sozial-ökologischer Wandel ist nötig, um katastrophale Folgen abzuwenden und ein gutes Leben für alle zu erreichen. (mehr lesen)

Presse: Artikel in der Badischen Zeitung | Interview auf Radio Dreyeckland

 

Wo stehen wir? Große Welt, kleiner Planet

Aktuell sind verständlicherweise alle Augen der Welt auf die Corona-Pandemie gerichtet. 2020 stellte die Menschheit vor schwere Herausforderungen: Lockdown, Gesundheit, Arbeitsverhältnisse und „über die Runden kommen“ sind unmittelbare Auseinandersetzungen, die uns alle „auf Trab“ halten.

Doch 2020 wird ebenfalls in die Geschichte eingehen als das bislang wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. [1] Parallel zur Corona-Pandemie beschleunigt und verschärft sich die menschengemachte Klimakrise in bedrohlichem Tempo: Megadürren und massive Waldbrände von Australien über die US-Westküste bis Ost-Sibirien. Schnell auftauender Permafrost in der Arktis mit entsprechender CO2- und Methan-Freisetzung. Rekordtemperaturen und -eisschmelzen in der Arktis, in Grönland und in der Antarktis. Verwüstungen von Zentralamerika bis in die USA durch 30 tropische Stürme und 13 Hurricanes im Atlantik (Rekord). Ähnliches mit Supertyphoons in Südostasien (Goni), Zyklone in Bangladesh (Amphan) und massiven Regenfällen an der afrikanischen Ostküste, die eine Heuschreckenplage ausgelöst haben. Zerstörte Infrastruktur und verlorene Ernten in Milliardenhöhe… [2][3]

Neun von fünfzehn biophysikalischen Systemen, die das Klima der Erde regulieren, sind auf dem Weg zu unumkehrbaren Wendepunkten. [4] Wir stehen am Anfang einer ökologischen und sozialen Krise, die sich in rasantem Tempo vor unseren Augen entfaltet. Es ist unverkennbar und wird täglich aufs Neue dramatisch bestätigt. Wir haben die Lage nicht unter Kontrolle. Es wäre trügerisch, zu denken, dass wir die Situation im Griff hätten.

Vor einigen Wochen jährte sich das Pariser Klimaabkommen zum fünften Mal. Obwohl zunehmend von ehrgeizigen Klimazielen und Klimanotstand die Rede ist, obwohl umweltfreundliche Technologien und Ansätze im Alltag zu erkennen sind, obwohl in der Corona-Pandemie die Weltwirtschaft deutlich weniger Treibhausgase emittiert hat: Es ist keine Trendwende bei der Erwärmung des Planeten erkennbar. Im Gegenteil: Die Welt beschleunigt unter dem Strich leider noch immer in die falsche Richtung. Wenn es um die Umsetzung von notwendigen Maßnahmen geht, befinden wir uns noch immer in einem Zustand der Verweigerung.

Erschwerend kommt das aktuelle politische Panorama hinzu. Demokratien erleben eine gesellschaftliche Polarisierung. Die soziale Schere öffnet sich immer weiter. Nationalismus, Rassismus und rechtspopulistische Parteien erstarken. Sie bauen Migration als Feindbild auf und leugnen die Klimakrise. In der Corona Pandemie werden wie bereits in der letzten großen Finanzkrise Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in die Rettung des Status Quo gepumpt anstatt sie für eine sozial-ökologische Transformation einzusetzen. Die Staaten sind hochverschuldet und die Politik zunehmend delegitimiert.

Die CO2-Konzentration bewegt sich zum Zeitpunkt dieses Schreibens um sage und schreibe 415 ppm [5]. Die globale Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erreicht 1,2°C. Wenn die Menschheit weiter auf aktuellem Niveau fossile Brennstoffe verbrennt, ist unser verbleibendes Kohlenstoffbudget für die im Parisabkommen angestrebte Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad in ca. sieben Jahren aufgebraucht.

 

Klima und Landwirtschaft

Die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind besonders anfällig für klimatische Veränderungen. Unser Ernährungssystem ist hauptsächlich an die Bedingungen der letzten 10.000 Jahre im Holozän angepasst. Das Fundament unserer Zivilisation ist dieses stabile Klima und eine reiche Biodiversität. Regelmäßige Wettermuster und landwirtschaftliche Produktion sind eingespielt. Wir verlassen gerade diesen Zustand. Die Welt, in der wir heute leben, ist klimatisch nicht mehr die Welt, in der unsere Großeltern, sogar Eltern, aufgewachsen sind.

Jetstream-Winde beispielsweise, die das Wetter in der Nordhalbkugel maßgeblich beeinflussen, schwächen zunehmend ab wegen des abnehmenden Temperaturunterschieds zwischen Äquator und Arktis. Im schlimmsten Fall können die Wellen des Windbands längere Zeit stehen bleiben, statt weiter zu wandern [6]. Die Folge sind Wetterextreme wie etwa Hitzewellen, Dürren, Starkregen, Überschwemmungen, Kälteeinbrüche, Schädlingsexplosionen und Arbeit unter Extremwetter-Bedingungen, die die globale Lebensmittelproduktion aktuell unter großen Stress setzen.

Besonders brenzlig wird die Lage, wenn zeitgleich wichtige Produktionsregionen der Welt betroffen sind, wie zuletzt 2018, als u.a. auch Europa betroffen war. Getreide vertrocknete auf den Feldern, das Futter für das Vieh wurde knapp, Setzlinge in den Wäldern gingen millionenfach ein, die Pegel am Rhein sanken auf den niedrigsten je gemessenen Wert, Freiburgs Dreisam war nur noch ein trauriges Rinnsal.

Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu verstehen, dass eine Verschärfung der Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten mit einer Ernährungskrise von globalem Ausmaß einher gehen wird, mit vorhersehbaren Produktionsausfällen, Verteilungskämpfen, Hunger und Migration.

 

Weiter wie bisher ist keine Option

Das Problem des menschenverursachten Klimawandels ist nun seit mindestens 30 Jahren auf der politischen Agenda. Die Ansätze der Vergangenheit haben alle bislang versagt. Aktuelle Maßnahmen stehen in keinem Verhältnis zur Größe des Problems. Wir müssen in aller Nüchternheit akzeptieren und ernsthaft zur Kenntnis nehmen, dass wir ein neues gesellschaftliches System brauchen. Die Parole der Klimabewegung „Systemwandel statt Klimawandel“ ist heute nicht mehr eine Meinung, sondern pure Notwendigkeit.

Unser derzeitiges auf endlosem ökonomischem Wachstum basierendes System ist ein zentrales Element des Problems. Wachstum schafft Profite und zerstört unsere Lebensgrundlagen. An einem solchen System kann nichts repariert werden. Wer heute noch Wachstum und ein „weiter wie bisher“ fordert (in grünem Gewand oder nicht), steht am Abgrund und fordert, dass wir mit Vollgas einen Schritt weiter gehen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein nicht angemessenes Handeln ein Crash mit Ansage ist. Ein Desaster von schwer vorstellbarer Tragweite und Leiden für sehr viele Millionen, ja Milliarden Menschen und Lebewesen auf diesem Planeten.

Ohne eine rasche Abkehr vom fossilen Kapitalismus ist weder eine ernstzunehmende Bekämpfung der Klimakrise noch globale soziale Gerechtigkeit möglich. Ein tiefgreifender, sozial-ökologischer Wandel ist nötig, um Schlimmeres abzuwenden und ein gutes Leben für alle zu erreichen.

 

Hoffnung entsteht durch Handeln

Für mehrere Entwicklungen (z.B. das massive Absterben der sehr empfindlichen Korallenriffe weltweit) ist es bereits zu spät. Aber es ist noch nicht zu spät, um zu vermeiden, dass es noch deutlich schlimmer kommt. Lasst es uns versuchen.

Was wir in den kommenden zehn Jahren schaffen wird maßgeblich über den Zustand der Welt entscheiden, die wir unseren Kindern und Enkelkindern überlassen. Lasst uns die Stabilisierung unseres Planeten zur Hauptpriorität machen, nicht zu einem Nebenschauplatz. Lasst uns die nötigen Transformationen ernsthaft in Angriff nehmen. Die Zukunft ist jetzt.

 

Was können wir tun?

1) Wir brauchen eine drastische Dekarbonisierung aller großen Lebensbereiche: Energieerzeugung, Transport, Industrie, Wohnen, etc. Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe ist vorbei. Sobald die Welt aufhört, diese Treibhausgase auszustoßen, könnte laut letzten Erkenntnissen die globale Temperatur rasch zu steigen aufhören. [7]

2) Existenziell ist der Schutz der Ozeane und der Biosphäre (Land, Wälder, Ökosysteme…), die bislang einen Großteil unserer Treibhausgasemissionen aufnehmen.

3) Wir brauchen dringend eine globale Ernährungswende, d.h. nachhaltige Formen der Lebensmittelproduktion weltweit, die Treibhausgasemissionen einlagern, statt diese zu emittieren.

Die Landwirtschaft und das globale Ernährungssystem sind die größte Ursache für die Bedrohung unserer planetaren Grenzen. Zwischen 44 % und 57 % unserer globalen Treibhausgasemissionen sind mit dem Ernährungssystem verbunden [8]. Die Landwirtschaft ist der größte Süßwasser-Verbraucher auf der Welt sowie der Hauptverschmutzer unserer Flüsse und unseres Grundwassers mit Düngemitteln und Pestiziden. Ebenso ist sie der Haupttreiber des Biodiversitäts-Verlusts auf der Erde [9].

Eine ökologische und nachhaltige Lebensmittelproduktion ist unabdingbar für einen stabilen Planeten mit gesunden Menschen. Die notwendigen Transformationen sind Herkules-Aufgaben, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat. Wir brauchen dazu Empathie über Generationen hinweg. Wir müssen in Jahrzehnten und Jahrhunderten denken und entsprechend handeln. Die Klimakrise kann nur mit globaler Solidarität angegangen werden. Lasst uns Nationalismen und Sozialdarwinismus eine Absage erteilen und alle Teil der Lösung werden.

Viele Menschen der jüngeren Generation haben den Ernst der Lage längst begriffen. Sie haben jeden Grund, alarmiert zu sein und zu Millionen auf die Straße zu gehen. Hoffnung entsteht durch Handeln. Die Schulstreiks auf allen Kontinenten, die Aktionen des zivilen Ungehorsams im Hambacher Forst und in Braunkohletagebauen der letzten Jahre machen Mut.

Genau wie die Gartencoop Freiburg erproben unzählige Initiativen weltweit neue klimagerechte Technologien, Anbaumethoden, Mobilitätskonzepte und gesellschaftliche Ansätze im Hier und Jetzt. Sie alle sind Ausdruck von Menschen, die die Entwicklung nicht mehr hinnehmen wollen und auf klimagerechte Transformation unserer Gesellschaft drängen. Sie tragen die Keimzellen der Welt von Morgen in sich.

Die Proteste haben das Thema prominent gemacht, aber wir müssen nüchtern erkennen, dass sie trotz massiver Beteiligung (1,4 Mio. Fridays for Future-Teilnehmer_innen in Deutschland [10]) noch keine wesentliche Trendwende hervorgebracht haben. Die Klimabewegung und die sozialen Auseinandersetzungen werden wahrscheinlich im Laufe der kommenden Jahrzehnte ihren Charakter ändern und eine andere Qualität bekommen - je klarer uns allen wird, dass es um die eigene und kollektive Existenz geht. Eine bessere, klimagerechte Welt ist nicht mehr nur ein Traum - wir haben keine andere Wahl.

Auch wir als Kooperative der solidarischen Landwirtschaft möchten noch konsequentere Schritte gehen. Wir wollen als Ort der Vision eines besseren Lebens, als Gesellschaftsschmiede, als Kraftort für den Wandel zu einer tiefgreifenden, sozial-ökologischen Systemtransformation beitragen. Uns treibt die Vision einer ökologischen und solidarischen Ernährungswende in unserer Region und überall an. Hunderte kooperierende Öko-Betriebe, Bäckereien, Verarbeiter, Quartierläden und Gastronomien in der Region versorgen darin die Bevölkerung mit ökologisch, klimaschonend und gesund produzierten Lebensmitteln. Die Äcker unserer Region werden wieder humusreich, die Ökosysteme regenerieren sich. Wir sind der Überzeugung, dass diese aktuell im bescheidenen Rahmen unserer Kooperative mit rund 750 Menschen gelebte Utopie sich in vielfältiger Weise breiter in der Bevölkerung verankern lässt.

Auch die „Green City“ Freiburg schöpft bei weitem ihr Potenzial nicht aus. Der Gemeinderatsbeschluss, die Forderungen des Fuß- und Radentscheids für eine Verkehrswende umzusetzen, ist beispielsweise begrüßenswert – wenn es denn tatsächlich zu Umsetzungen kommt. Wenn wir die klimagerechte Transformation ernsthaft angehen wollen, brauchen wir aber eher politisches Engagement und Maßnahmen in vielen weiteren Bereichen und in ähnlicher Größenordnung alle paar Monate.

Lasst uns Solidarität und Klimagerechtigkeit leben.

Ein anderes Ende der Welt ist möglich.

Für 1,2,3… viele Gartencoops !

 

Gartencoop Freiburg, Januar 2021

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Quellen:

[1] 2020 war im Durchschnitt nur ganz knapp wärmer als das Jahr 2016. Wegen der Fehlertoleranz sind beide Jahre faktisch gleich warm gewesen. https://www.nasa.gov/press-release/2020-tied-for-warmest-year-on-record-nasa-analysis-shows, Dr. James Hansens Team: http://www.columbia.edu/~mhs119/Temperature/

[2] https://yaleclimateconnections.org/2020/12/the-top-10-weather-and-climat...

[3] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heuschreckenplage-in-ostafrika-100.html

[4] Johan Rockström (PIK, Stockholm Resilience Centre) https://www.ted.com/talks/johan_rockstrom_10_years_to_transform_the_future_of_humanity_or_destabilize_the_planet/transcript#t-202985

[5] Weltweite Co2 Konzentration: https://keelingcurve.ucsd.edu/

[6] Wetterextreme im Sommer 2018 waren verbunden durch stockende Riesenwellen im Jetstream (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, PIK) https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/wetterextreme-im-som...

[7] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimakrise-die-gefahr-alarmistischer-klima-studien-a-1dd0222f-7cf0-459b-8f22-04b68383097b | https://insideclimatenews.org/news/03012021/five-aspects-climate-change-...

[8] https://www.grain.org/en/article/5102-food-sovereignty-five-steps-to-cool-the-planet-and-feed-its-people

[9] Johan Rockström (PIK, Stockholm Resilience Centre) – agriculture & planetary boundaries min 51:25

https://www.ecoshock.org/2020/12/climate-the-fatal-fork-in-the-road.html

[10] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/fazit-fridays-for-future-und-beschluesse-klimakabinett-100.html

Bilder: 


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