Wir begrüßen die Initiative der Stadt Freiburg, die Studie „Regionaler Konsum in Freiburg“ in Auftrag gegeben und eine Auseinandersetzung um das Thema angestoßen zu haben. Wir sehen die Lebensmittelversorgung ebenfalls als zentrales Handlungsfeld, um soziale, Umwelt- und Klimaschutzziele zu erreichen und teilen die vorgetragene Motivation, der aktuellen Situation dringend etwas entgegen setzen zu wollen. Über 40% der jährlichen globalen Treibhausgasemissionen sind dem Ernährungssektor zuzuschreiben [1]. Hier besteht dringender Handlungsbedarf und gleichzeitig eine Chance, die Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung in der Region auf vielen Ebenen positiv zu verändern.
Die Fragen, die nun im Raum stehen, sind: Welche Schlussfolgerungen sollen aus der Studie gezogen werden? Welche Art von regionaler Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion wollen wir in der Region fördern? Eine Bestandsaufnahme ist, wenn auch diese Studie gewisse Grenzen hat, ein guter erster Schritt. Als Akteurin der solidarischen Landwirtschaft in der Region möchten wir uns mit diesem Beitrag an einer kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung um die Frage relokalisierter Lebensmittelökonomie beteiligen.
Eine solidarische und ökologische Ernährungswende ist möglich. Jetzt gilt es, Handlungsperspektiven aufzuzeigen und die Lebensmittelversorgung in der Region fundamental zu verändern. Ganzen Artikel lesen
Über uns - Schwarzer Rettich und Melonen
Die Gartencoop Freiburg ist eine Kooperative der Solidarischen Landwirtschaft. Rund 290 Haushalte teilen sich die Verantwortung für einen landwirtschaftlichen Betrieb in Tunsel – Bad Krozingen und tragen gemeinsam die Kosten und Risiken der Landwirtschaft. Die gesamte Ernte – ob gut oder schlecht – wird auf alle Mitglieder (die meisten aus Freiburg) verteilt. Ein konsequenter ökologischer Anbau, Saisonalität, 100% samenfeste Sorten, kurze Wege, solidarische Ökonomie, kollektives Eigentum sowie Bildungsarbeit sind nur einige der vielen Merkmale des Projekts. Wir versuchen, unsere Mitglieder so weit wie möglich am praktischen Anbau unserer Lebensmittel teilhaben zu lassen und diesen so klimaschonend wie möglich zu gestallten. Die Kooperative besteht seit 2011 und versorgt aktuell rund 800 Menschen (290 Haushalte) ganzjährig mit Gemüse, Kräutern und Getreide.
„Regional“ greift zu kurz – es geht ums Ganze
Zuerst möchten wir die Aussage der Studie unterstreichen, dass regionale Produkte nicht zwangsweise die bessere Umweltbilanz aufzeigen, sondern die Produktionsweise viel ausschlaggebender ist.
Ein Spargel aus der Oberrheinebene mag beispielsweise regional und saisonal erzeugt worden sein, aber dahinter stecken trotzdem unvertretbare Arbeitsverhältnisse von Saisonarbeiter_innen aus Osteuropa sowie eine fragliche landwirtschaftliche Praxis, die Ackerböden abbaut statt zu kultivieren.
Landwirtschaftliche Produkte aus dem Regierungsbezirk Freiburg wie etwa Spargel, Erdbeeren, Wein oder Schwarzwald-Milchprodukte werden gerne international vermarktet. Sie sind in der neoliberalen Logik des globalen Supermarkts eingebettet. Mancherorts gleicht die Landschaft bereits einem Plastikmeer. Ein hoher Energieaufwand wird betrieben, um Spargel und Erdbeeren so früh wie möglich zur Reife zur bringen.
„Regional“ als alleiniges Kriterium für eine klimagerechtere und nachhaltigere Landwirtschaft greift zu kurz. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen mehrere Aspekte zusammengedacht werden: ökologische Erzeugung, kurze Wege, Saisonalität, faire Arbeitsbedingungen und ein Ende des optischen Castings, das Lebensmittel zum Wegwerfprodukt werden lässt.
Lebensmittel sind keine Ware
Mit dem Freihandelsabkommen TTIP bahnt sich ein neuer Angriff auf den Lebensmittelsektor und den Verbraucherschutz an: Großmastanlagen, Dumpingpreise, ein weiter beschleunigtes Höfesterben, Hormon-Fleisch und Gentech-Pflanzen auf unseren Tellern stehen uns ins Haus.
Um eine sozial und ökologisch zukunftsfähige Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung zu erreichen, muss diese aus den Zwängen der neoliberalen Marktwirtschaft und der Profitlogik befreit werden. Die Landwirtschaft steht vor der Herausforderung, die Grundlagen für unsere Ernährung zu produzieren und gleichzeitig unsere Umwelt lebenswert zu gestalten. Der Ernährungssektor ist, ähnlich wie der Gesundheits- oder der Bildungssektor, ein Bereich, der von der Gesellschaft getragen und nicht den Gesetzen der Marktwirtschaft unterworfen sein sollte.
Es braucht eine radikale Wende in der lokalen landwirtschaftlichen Strukturentwicklung, soll nicht die globalisierte neoliberale Marktwirtschaft weiterhin den Ton angeben.
Warum eigentlich regional? Gute und schlechte Gründe für Regionalität
Die Entscheidung, die regionale Lebensmittelproduktion zu fördern und zu transformieren, darf sich nicht aus regionalpatriotischen Motivationen speisen. Rechtspopulistische Gruppierungen versuchen zu oft, das diffuse Unbehagen gegenüber der Wirtschaftskrise oder einem Freihandelsabkommen in nationalistische Bahnen zu lenken. Statt Ressentiments gegen Griech_innen, Roma, Arbeitslose oder Migrant_innen zu kultivieren, muss eine Bewegung für die Transformation der regionalen Lebensmittelversorgung auf eine Kultivierung der Felder setzen, die alle unabhängig von Herkunft, geschlechtlicher Orientierung oder sozialem Status gesund ernährt.
Eine regionale Wertschöpfung ist eine gute Grundlage für eine transparentere Lebensmittelerzeugung, die sich an den Bedürfnissen der Verbraucher_innen orientiert und sich von einer Massenproduktion für einen anonymen Markt abgrenzt. Die Entkoppelung des persönlichen Konsums von den Konsequenzen der Produktion ermöglicht es erst, dass z.B. der übermäßige Fleischkonsum in Europa zu einer der Haupt-Ursachen für massive Entwaldung in anderen Erdteilen geworden ist.
Mit einer Relokalisierung der Lebensmittelökonomie fallen große Teile von Kühlketten, Einwegverpackungen und Transportenergieverschwendung weg. Die Relokalisierung und Sichtbarmachung einer "guten" Lebensmittelwirtschaft und Verarbeitung vor Ort ermöglicht eine erneute Annäherung und Bildung der Verbraucher_innen. Nur so werden Problematiken in der Landwirtschaft sichtbar und greifbar für die Bewohner_innen des urbanen Raumes.
Eine solidarische und ökologische Ernährungswende ist möglich
Solidarische Landwirtschaft, bzw. CSA-Betriebe leisten einen Beitrag zur Transformation des landwirtschaftlichen peri-urbanen Raums rund um Freiburg. Der von uns gewählte Weg der solidarischen Landwirtschaft hat nicht den Anspruch DIE Lösung zu sein, stellt aber unserer Meinung nach EINEN wichtigen Lösungsansatz dar.
Ein konsequenter ökologischer Anbau, lange Fruchtfolgen, das Ziel eines möglichst geschlossenen Hofkreislaufs im Düngungskonzept, das Ziel die Bodenfruchtbarkeit zu steigern, der Einsatz 100% samenfester Sorten und ein vielfältiger Anbau mit über 70 Kulturen sind Elemente, die zum Selbstverständnis der Anbauphilosophie in der Gartencoop gehören. Aber wir sind nur ein Beispiel einer stetig wachsenden Bewegung für eine resiliente Ernährung einer post-kapitalistischen Gesellschaft im Entstehen.
Der sozial-ökonomische Rahmen der solidarischen Landwirtschaft ermöglicht, das Risiko auf vielen Schultern zu tragen, kollektives Eigentum zu schaffen, den marktwirtschaftlichen Ertragsdruck herauszunehmen und bedarfsorientiert zu produzieren.
Für unser Verständnis von Ernährungsautonomie ist es unerlässlich, dass die Attraktivität der landwirtschaftlichen Berufsbilder gesteigert wird. Dazu gehören faire Löhne, die eine ganzjährige und langfristige Lebensperspektive für die Arbeiter_innen inklusive einer entsprechenden Altersvorsorge einbezieht.
Hinzu kommen energie- und klimapolitische Überlegungen: eine konsequente Saisonalität (d.h. beispielsweise kein energieintensives Beheizen von Folientunneln), eine Lagerung im Hofkeller ohne aktive Kühlung sowie eine umweltschonende Verteilung über kurze Wege nach Freiburg.
Seit mehr als fünf Jahren legen wir jede Woche insgesamt rund 160 km Transportwege zurück, um unsere Produktion bis an 16 Abholstationen in verschiedenen Stadtvierteln zu bringen. Ca. 50% unserer Transportwege werden dabei mit einem Car Sharing Transporter erledigt und 50% mit Fahrrädern und Anhängern. Wir haben eine gemeinschaftlich genutzte Fahrrad-Anhänger Flotte aufgebaut. In Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von Carla Cargo sind zukunftsweisende E-Bike Technologien für die urbane Logistik entstanden.
Vision: 1.000 Kooperativen statt tausender Kilometer
Die Gartencoop hat im Kalenderjahr 2015 ihre Mitglieder mit insgesamt rund 80 Tonnen Gemüse (inklusive Kartoffeln) sowie 4 Tonnen Getreide versorgt. Alle Lebensmittel wurden auf unserem Betrieb in Tunsel produziert. Hinzu kommen einige hundert Kilogramm Obst, die wir auf Streuobstwiesen in der Region ernten. [3]
Somit erzeugen wir auf 8 ha, von denen im Wechsel rund ein Drittel für Gemüseanbau genutzt wird, ungefähr 0,25% des in Freiburg verzehrten Gemüses. Um den gesamten Gemüsebedarf der Stadt Freiburg (29.100 t/a) mit einer ähnlichen Produktionsweise zu decken, wäre eine Fläche in der Größenordnung von ca. 3.200 ha nötig [2]. Oder anders ausgedrückt: Es bräuchte knapp 400 ähnliche kleinbäuerliche Öko-Betriebe im landwirtschaftlichen peri-urbanen Raum rund um Freiburg.
Ist das nicht ein erstrebenswertes Zukunftsbild für die Region? Die Mehrheit der Menschen in Freiburg und dem Umland würde sich von gesunden, ökologisch und fair angebauten Lebensmitteln ernähren. Fruchtbare, kleinteilige und vielfältige Beete würden die Spargel- und Maiswüsten verdrängen. Hunderte Bäckereien, Konserverien und Betriebe in handwerklicher Tradition könnten die landwirtschaftlichen Produkte zu guten Lebensmitteln für alle verarbeiten. Unzählige Quartiersläden, Märkte und Abholstationen würden die Supermärkte zurückdrängen. Mehrere tausend junge Menschen wären gerne in der Landwirtschaft tätig und würden gerne neue Berufe in der Lebensmittelverarbeitung erlernen, weil sie sich damit eine gute Existenz aufbauen könnten. Große Teile der Bevölkerung würden wieder ein Verständnis und eine Wertschätzung gegenüber kleinbäuerlichen Strukturen erleben und endlich den globalen Supermarkt hinter sich lassen.
Bewegung für eine Ernährungswende schaffen
Um dieser Vision näher zu kommen, braucht es eine soziale Bewegung für eine ökologische und solidarische Ernährungswende, die bereit ist gegen den Strom der Agrarindustrie zu schwimmen und neue solidarische Strukturen aufzubauen.
Einige tausend Freiburger_innen unterstützen bereits die solidarische Landwirtschaft und andere Ansätze kooperativer Ökonomie. Sie zeigen täglich, dass dieser Weg und eine solche Vision möglich sind.
Wir sind im solidarischen Austausch mit den beiden SoLaWis Luzernenhof und Lebensgarten Dreisamtal und unterstützen aktiv den Aufbau von verarbeitenden Strukturen wie dem Backhaus der Vielfalt in St. Georgen. Wir beraten auch neue SoLaWi-Initiativen in Emmendingen, der Ortenau und Eichstetten, um die regionale, ökologische Produktion von Lebensmitteln für die urbanen Zentren der Region voran zu treiben.
Beim Agrikulturfestival 2015 haben wir das Forum Regional Ernährung Entwickeln mitgegründet, das eine Austauschplattform bietet für Initiativen der regionalen Lebensmittelversorgung. [4]
Die Agrarindustrie zerstört unseren Planeten. Es ist an der Zeit, die richtigen Schlüsse aus diesen katastrophalen Zuständen zu ziehen: Bauernhöfe statt Agrarfabriken - Solidarität und Resilienz, statt Raubbau an Mensch und Umwelt!
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[1] Siehe Weltagrarbericht 2008: http://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/klima-und-energie.html und GRAIN https://www.grain.org/article/entries/5102-food-sovereignty-5-steps-to-cool-the-planet-and-feed-its-people
[2] Zum Vergleich umfasst die landwirtschaftlich genutzte Fläche im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald 55.000 ha (Quelle: Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume (LEL) Seite 15). Selbst wenn wir einen großzügigen Abzug für Flächen in höheren Lagen, für die Nutzung zur Obst-, Getreide, Milch- und Fleischproduktion, sowie mit schlechterer Bodenqualität vornehmen und berücksichtigen, dass auch die Bevölkerung im Landkreis versorgt werden will, zeigt dies doch, dass eine wahrhaft regionale (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald statt Regierungsbezirk Freiburg) Gemüseversorgung für die Stadt Freiburg möglich wäre.
[3] Da sowohl Gemüse Abo-Kisten als auch die drei solidarischen Landwirtschaftsprojekte mit keinem Wort in der Studie erwähnt wurden, wollen wir an dieser Stelle einige Zahlen aus unseren Ernte-Statistiken zur Verfügung stellen, um das Bild der regionalen Versorgung um eine Dimension zu erweitern.
[4] Wir fordern besseren Zugang zu Produktionsmitteln und sichere Absatzstrukturen für junge Landwirte. Es ist keine Überraschung, dass es immer weniger Landwirte in der Region gibt, wenn sich junge Menschen für ihr gesamtes Leben verschulden müssen, wenn sie Lebensmittel für die Bewohner_innen dieser Region produzieren möchten.